Barbara Beekmann

Wann genau hast du mit dem Schreiben angefangen?

Als meine Mutter 2010 starb, schrieb ich für die Familie ihren Lebenslauf. Das setzte in meinem Kopf etwas in Bewegung, worüber ich lange nachdachte. Es gibt im Leben Ereignisse, Vorkommnisse, Begegnungen, die man am liebsten vergessen würde. Sie sind allgegenwärtig, aber man kann mit niemandem darüber reden. So ging es mir über viele Jahre hinweg. Ich hatte in meiner Jugend eine traumatische Erfahrung machen müssen. Während des Schreibens an der Biographie meiner Mutter, kam mir die Idee eine Geschichte zu schreiben. Ich wollte darin alles unterbringen, das mich belastete. Das war der Anfang als Schriftstellerin. Damals war ich 67 Jahre alt.

Hat dir das Schreiben geholfen, deine traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten?

Ja. Durch das Mittel des Erzählens habe ich Worte für das Erlebte gefunden und konnte es aufarbeiten. Das Schreiben hat mir dabei geholfen, dieser Teilpersönlichkeit von mir ein Ende zu schreiben. So wie die Protagonistin durch ihr Sterben ein Ende findet, fand ich durch das Schreiben einen Abschluss für das Unbewältigte in mir. Für mich ist diese Episode meines Lebens inzwischen abgeschlossen. Ich habe sogar festgestellt, dass das Schreiben mir geholfen hat, über das Erlebte mit Vertrauenspersonen reden zu können.

Spielte das Schreiben auch in deinem beruflichen Leben eine Rolle?

Als gelernte Buchhändlerin hatte ich Bücher zu verkaufen. Geschrieben habe ich damals nicht. In allen späteren beruflichen Tätigkeiten, z.B. als Bürgermeisterin oder Abgeordnete, hatte ich Berichte und Referate zu schreiben. Auch da war mitunter Kreativität gefragt.

Wie kam es, dass du ein Buch schreiben wolltest?

Ich wollte kein Buch schreiben. Ich wollte nur etwas in mir Verschüttetes loswerden. Die Geschichte, die aus diesem Bedürfnis nach Verarbeitung entstanden ist Lügen sind die Kinder der Angst wurde länger, als ich selbst erwartet hatte. Zuerst hatte ich auch überhaupt nicht vor, diese Geschichte zu veröffentlichen. Habe sie nur meiner Familie und Freunden gezeigt. Alle fanden sie viel zu gut, um in der Schublade zu verschwinden. Darum habe ich sie einem größerem Publikum vorgetragen: den Frauen meines Barock-Vereins. Auch sie drängten mich, mehr mit meiner Geschichte zu machen. Den letzten und entscheidenden Anstoß gab mir Martina Rellin.

Warum hast du erst mit 67 Jahren mit dem kreativen Schreiben angefangen?

Das hatte vor allem berufliche Gründe. Neben meinem Job als Buchhändlerin und Mutter war ich jahrelang Bürgermeisterin der Gemeinde Zeutsch. Obwohl ich inzwischen in Leipzig lebe, bin ich dort immer noch aktiv – im Barock-Verein Christiane Eleonore von Zeutsch. Wir erforschen das Leben der Adelsfamilie von Zeutsch. Die Namensgeberin des Verein lebte im 17. Jahrhundert und war die Großmutter der Zarin Katharina II.

Du magst ein Schreibzitat von Bernard Shaw besonders gerne. Warum?

Ich mag das Zitat von G.B. Shaw, weil seine These auf meinen Schreibprozess zutrifft:

Das Finden der Wahrheit ist nicht halb so interessant, wie die Suche danach.

Meine Bücher sind sehr persönliche. Ich schreibe sie, um Klarheit zu schaffen, meine Wahrheit zu finden. Auf der Suche danach musste ich viel recherchieren und habe mich mit den unterschiedlichsten Themen beschäftigt: der Auswanderer-Welle im 19. Jahrhundert, den Weltkriegen aber auch mit Frauenbildern oder der Frage, wie genau ein Falschspieler Karten zinkt. Die Suche nach Wahrheit finde ich so spannend, dass ihr Finden zur Nebensache wird.

Wie lange hat der Schreibprozess bei deinem ersten veröffentlichten Roman gedauert?

Von der ersten Idee bis zum fertigen Buch hat es sechs Jahre gedauert. Tatsächlich geschrieben habe ich vier Jahre. Zuerst war die Geschichte als Rahmenhandlung angelegt. Mir hat das gefallen und einigen Probelesenden auch. Aber es war nicht schlüssig. Die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen holperten und manches passte nicht zusammen. Damals habe ich noch nicht soviel recherchiert, sondern mich mehr auf mein Bauchgefühl verlassen. Das Neu- und Umschreiben dauerte etwa zwei Jahre. Bis zur Veröffentlichung ein weiteres Jahr.

Du hast dein Buch im Hein-Verlag veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Nachdem ich das Buch fertig hatte, habe ich mich auf die Suche nach einem Verlag begeben. Auf der Buchmesse Leipzig sah ich an einem Stand das Schild “Autoren gesucht” und habe mich einfach vorgestellt. Mein Manuskript hatte ich dabei und als der Verlag das gleich haben wollte, war ich überglücklich. Dann flatterte der Vertrag ins Haus und ich merkte den Haken: Der Verlag war ein Druckkostenzuschuss-Verlag. Die Selbstbeteiligung hätte €7.500 betragen! Das war mir natürlich zu viel. Also forderte ich mein Manuskript zurück – und hatte ziemliche Mühe, es wiederzubekommen. Stattdessen erhielt ich drei Folgeverträge. Die Kosten sanken, aber mir waren €3.000 immer noch zu happig. Erst über ein halbes Jahr später hielt ich mein Manuskript wieder in Händen.

Inzwischen bin ich schlauer geworden und informiere mich auf der Schwarzen Liste vorab über unseriöse Pseudoverlage – und kann das auch jeder Autorin nur empfehlen.

Ein Jahr später fand ich, ebenfalls auf der Buchmesse Leipzig, den Hein-Verlag. Ein seriöser Verlag. Aber es hat noch ein weiteres halbes Jahr gedauert, bis das Buch veröffentlicht wurde.

Sind deine Bücher nur in Verlagen erschienen?

Nein. Während der Turbulenzen um mein Erstlingswerk, habe ich meine zweite Erzählung geschrieben: Luise.
Meine Tochter korrigierte und lektorierte die Geschichte für mich. Verlegt haben wir es dann 2017 bei Epubli. Aus dem Stoff wurde Anfang 2018 der Roman Auguste Luise, verlegt im Oeverbos Verlag, wo auch alle weiteren Bücher erschienen sind.

Welcher handwerkliche Aspekt des Schreibens fordert dich am meisten heraus? Was hilft dir dabei, dich in diesem Aspekt zu verbessern?

Anfangs hatte ich das Problem, dass ich meine Protagonisten nur äußerlich beschrieben habe, ihre Handlungen schilderte. Ich musste lernen, sie fühlen zu lassen. Auch fehlte es an Dialogen. Was sie dachten, beschrieb ich nur. Das Herausarbeiten von Gefühlen fällt mir zum Teil heute noch schwer. Mir hat dabei ein Tipp geholfen: “Du musst die Personen vom Kopf her denken”. Also sich wirklich in den Kopf einer Figuren hineinversetzen, sich vorzustellen, ich wäre sie. Dabei visualisiere ich auch Gefühle und körperliche Reaktionen. Da ich gerne schauspielere – in meiner Barock-Gruppe verkörpere ich Christina von Weißenbach, die Großmutter von Katharina II – war “vom Kopf her denken” für mich ein Tipp, den ich gut umsetzen konnte und der mich beim Schreiben weitergebracht hat. Ich glaube außerdem, dass es einer Portion Lebenserfahrung bedarf, um in manche Situationen einer Figuren schlüpfen zu können.

Trotz Lebens- und Schauspielerfahrung dauert es manchmal Tage, bis ich die richtigen Worte für die Enttäuschungen, den Schmerz oder die Freude meiner Figuren finde. Bis ich diese Worte gefunden habe, wälze ich das Problem im Kopf herum.

Welche Schreibphasen findest du besonders anstrengend? Wie motivierst du dich weiterzumachen?

Viele meiner Figuren haben reale Vorbilder. Für mich ist das Anstrengendste, die Figuren von ihren realen Vorbildern zu trennen, sie als unabhängige Figuren handeln zu lassen, ihnen ein Eigenleben zu geben. Mein Problem: Immer, wenn ich sie beschreibe, scheint im Hintergrund der Mensch durch, den ich als Vorbild habe.

In meinem Roman Er war doch nur ein Frosch geht es beispielsweise um eine Ehe, die im Krieg geschlossen wird und nicht glücklich verläuft. Reales Vorbild für diesen Roman war die Ehe meiner Eltern. Es hat sehr lange gedauert, bis ich in meinem Protagonisten Hans nicht dauernd meinen Vater gesehen habe. Zudem beschäftigte mich die Frage, ob ich das überhaupt so schreiben dürfe. Ich hatte Skrupel. Dabei ist der Roman fiktiv und lehnt sich nur an der Wirklichkeit an. Diese Schreibphase habe ich durch Weiterschreiben und Recherche überwunden. Ich habe mich ausgiebig mit Zwangsehen in der Nazizeit, Ferntrauungen während des 2. Weltkrieges sowie mit den Umdenkprozessen nach dem Krieg und in den ersten DDR-Jahren beschäftigt. Der Vergleich mit den Schicksalen anderer hat mich sehr motiviert.

Hast du vor oder während des Schreibens am ersten Buch einen Schreibkurs besucht? Was hast du dort gelernt, das dir am meisten geholfen hat?

Den ersten Entwurf hatte ich bereits geschrieben, als ich meinen ersten Schreibkurs besuchte. Das war 2015. Ich war gerade nach Leipzig gezogen und fand in der Leipziger Volkszeitung eine Anzeige für einen einwöchigen Schreibkurs von Martina Rellin. Martina war mir vom Namen her bekannt, darum meldete ich mich spontan an. Das Manuskript von Lügen sind die Kinder der Angst schickte ich vorab an Martina.
Gleich am ersten Abend des Schreibkurses führte Martina mit mir ein ausführliches Gespräch. Damals zitterten mir die Knie vor Ehrfurcht und Angst, schließlich ist Martina eine erfahrene Autorin. Sie ist aber auch sehr einfühlsam und hat sich viel Zeit für mich und meine Geschichte genommen. Ihre Analyse und die Hinweise haben mir bei der Überarbeitung sehr geholfen. Ihre entscheidenden Tipps waren: Lass die Rahmenhandlung weg. Die ist zu lang. Die verwässert die Geschichte. Konzentriere dich auf das Wesentliche. Mache, wenn es not tut, zwei Teile daraus.
Ohne Martina wäre der Roman in seiner heutigen Endfassung nicht entstanden. Von ihr habe ich unter anderem gelernt, wie ich Charaktere finden und formen kann und wie ich den roten Faden entdecke und behalte. Die hilfreichsten Tipps aus der Schreibwoche waren für mich:

  • Vermeide Füllwörter
  • Bilde keine endlosen Sätze
  • Nutze starke Verben anstelle unpersönlicher Substantive
  • Schreibe aktiv, nicht passiv
  • Lies den Text dir selbst oder anderen laut vor, um Fehler zu erkennen

Wie sieht deine aktuelle Schreibroutine aus?

Für mich gibt es keine festen Tageszeiten, an denen ich schreibe. Das ergibt sich aus dem häuslichen Rhythmus.
Entweder ich stehe sehr zeitig auf, im Sommer mitunter um fünf oder noch eher, und setze mich an den Schreibtisch oder ich schreibe ganz einfach im Bett. Da ich grundsätzlich zuerst mit Hand schreibe, ist der Schreibort für mich zweitrangig. Ich schreibe überall. Darum trage ich auch immer ein Notizheft bei mir.
Der Vormittag ist belegt mit allen anstehenden Hausarbeiten. Am frühen Nachmittag treibe ich ein wenig Sport oder arbeite im Garten. Meine Figuren sind dabei immer bei mir.
Die liebste Zeit zum Schreiben beginnt mit Anbruch der Abenddämmerung. Im Sommer schreibe ich auch gerne auf der Terrasse. Auch nachts schreibe ich, wenn ich mal nicht schlafen kann.
Als größten Vorteil sehe ich, dass ich meinen Lebensunterhalt nicht mit dem Schreiben verdienen muss und daher ganz ohne Zwang schreiben darf.

Nutzt du ein Schreibprogramm? Wenn ja, welches?

Ich nutze Pages auf meinem Mac. Dort tippe ich meinen Text in eine Normseite. Allerdings ist das für mich der letzte Schritt. Ich schreibe nämlich grundsätzlich alles zuerst mit der Hand – und bin da auch sehr eigen. Ich brauche kleinkariertes Papier und einen Kugelschreiber, der gut übers Blatt gleitet. So schreibe ich täglich 15-20 Seiten. Mitunter tut mir da schon mal die Hand weh. So sieht eine Manuskript-Seite bei mir aus: 

So sieht eine handschriftliche Manuskriptseite von Barbara Beekmann aus

Erst, wenn alles fertig geschrieben ist, kommt der Computer dran. Während des Abtippens überarbeite ich gleichzeitig meinen Text.

Holst du dir Feedback zu deinen Texten ein?

Ja. Der Erste, der seine Meinung zu meinen Texten äußern darf – oder besser gesagt: muss –, ist mein Mann. Ihm lese ich den Urtext vor.
Die zweite Person, die mir zuhört, ist meine Freundin. Sie ist die Emotionale. Wenn meine Figur leidet, leidet sie auch und fragt grundsätzlich nach, ob und warum ich sie leiden lasse. Die Dritte ist meine Tochter Katja Weidner. Sie liest nach fachlichen Gesichtspunkten und korrigiert den Text.
Erst danach geht es in eine “kleine” Öffentlichkeit. Jedes Jahr im November lade ich die Bewohnerinnen unseres Hauses, Nachbarinnen sowie Freundinnen zu einer Hauslesung ein. Für mich ist das sehr wertvoll, denn ich bekomme dabei viele Anregungen und Hinweise. Manchmal ist die Diskussion nach der Lesung auch kontrovers. Aber sie ist immer hilfreich. Nicht zuletzt nutze ich den Autorenstammtisch der Jungen Autoren (Leipzig), um meine Texte vorzustellen und die Meinungen und Kritiken der anderen Autorinnen zu hören. Das ist mir besonders wichtig.

Was hast du für den Vorher-Nachher-Vergleich ausgewählt und warum?

Für den Vergleich habe ich den Anfang von Lügen sind die Kinder der Angst ausgewählt. Zwischen beiden Texten liegen Welten. Beginnt der Urtext als Rahmenhandlung und findet keinen rechten Zusammenhang zur eigentlichen Geschichte, steigt die Endfassung unmittelbar in das Geschehen ein. Hier zeigt sich am deutlichsten der Auseinandersetzungsprozess mit dem Geschehen.

Hast du schon das nächste Buch geplant?

Aktuell ist das Manuskript zur Fortsetzung der Familiengeschichte um Auguste Luise fertig geworden. Es ist der vierte und letzte Band.
Außerdem plane ich seit längerer Zeit eine unterhaltsame Reise in die Geschichte von Zeutsch (Thüringen) zu schreiben. Dazu schlummern bereits zwei Entwürfe in der Schublade. Das Projekt ist als Sachbuch angedacht, soll aber humorvolle Passagen bekommen. Für mich ist das ein spannendes Projekt. Faktenwissen ist gefragt und mir steht eine Fülle an Material zur Verfügung, das ich geschickt und wohldosiert in meine Geschichte einarbeiten muss. Es wird eine Gratwanderung und ich bin mir noch nicht sicher, ob mir das gelingen wird.
Zwei weitere Roman-Manuskripte liegen zur Zeit auf Eis. Was ich damit mache und ob ich überhaupt etwas damit mache, das weiß ich noch nicht.

Was ist dein Erfolgsrezept beim Schreiben?

Wichtig ist für mich der erste Satz. Den zu finden, ist oft das Schwierigste. Manchmal grüble ich tagelang, bis es klick macht. Ist der erste Satz geschrieben, geht es von ganz allein weiter. Durch das viele Nachdenken bin ich dann bereits tief in meiner Handlung drin. Was nicht heißt, dass zu diesem Zeitpunkt schon alles perfekt ist.
Während der Schreibphase beginnt auch die Recherche, die nicht nur Geduld und Ausdauer abverlangt, sondern teilweise auch Geld kostet. Denn manchmal reicht die Recherche im Internet nicht aus und ich muss einschlägige Literatur kaufen. Da diese Herangehensweise bei mir zum Erfolg führt, behalte ich sie bei und werde auch mein nächstes Buch so schreiben.

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Mein Buch
Lügen sind die Kinder der Angst
Eckdaten
Inhalt
1941. Emma, eine junge Frau, begeht einen Fehltritt. Um ihn zu vertuschen, verstrickt sie sich in einen Strudel von Lügen, in den noch ihre Kinder und Enkelkinder hineingezogen werden. Lene, Karin, Stephan und Bettina müssen mit den Folgen von Emmas Lügen leben, ohne davon zu wissen. Erst nach ihrem Tode 1994 kommt die Wahrheit ans Tageslicht.
Vorher vs. Nachher